36. »Verfalle nicht in falsche Magie«

Jamgön Kongtrul Rinpoche: Wenn du bei der Praxis des Geistestrainings eine zeitweilige Niederlage für den Moment zwar akzeptierst, aber dabei den Wunsch hegst, daß später daraus Gutes für dich entsteht, oder hoffst, damit körperliche und geistige Krankheiten bessern oder Schwierigkeiten abwehren zu können, so ähnelt das der Praxis von Magie.
Handle also nicht so, sondern befreie dich in Glück wie in Leid von Hoffnung, Furcht, Anmaßung und Zweifeln und meditiere.
Lama Lhündrup: Die Haltung eines Magiers ist, daß er eine Situation für einen persönlichen Vorteil manipulieren möchte.
[Das ist wie] wenn wir den Dharma benutzen, um eine Situation besonders zu unserem Vorteil zu wenden: eine verdrehte Motivation, bei der wir Dharma-Grundsätze nutzen, weil wir wissen, daß das gut ankommt, um dann den persönlichen Vorteil zu haben. Nett sein, damit andere mich mögen, sieht nach Dharma aus, ist es aber nicht. Nur wieder ein Verfolgen der eigenen Interessen.
Wenn wir jetzt auch noch den Dharma benutzen, um ihn in unser Ego-Funktionieren einbauen, dann haben wir das Heilmittel korrumpiert, das uns zur Verfügung steht. Es geht um Aufrichtigkeit, speziell mit dem, was wir denken. Da geht es um unsere innere Instanz, die beobachten kann, was uns tatsächlich bewegt – z.B. wenn wir ein Geschenk machen: Machen wir das Geschenk aus einem wirklichen Interesse, daß es dem anderen gut geht? Oder machen wir das Geschenk schon im Denken daran, daß daraus für uns ein Vorteil entsteht? Niemand sonst kann es eigentlich wissen.
Ohne Aufrichtigkeit können wir uns ein ganzes Leben lang Dharmapraktizierende nennen, und es wird sich nichts tun, es wird sich nichts ändern, wir werden genauso ichbezogen bleiben, wie wir es vorher auch schon waren.

Jamgön Kongtrul Rinpoche: Dazu gehören auch eine falsche Sichtweise, die
– entweder auf Ewigkeitsglauben oder Nihilismus beruht, sowie
– falsche Meditation, die an etwas als Höchstem festhält, und
– falsches Verhalten, das nicht in Einklang [mit dem Dharma] ist.
Lama Lhündrup: Eine Meditation, die an etwas als Höchstem festhält, ist eine Art zu meditieren, bei der man das Meditieren selbst, wie etwa das Ritual, für an sich befreiend hält und nicht die damit einhergehende Geistesänderung. Wenn sich also jemand seinen eigenen Dharma zurecht macht, dann wird das nicht zur Befreiung führen.
Es ist gut, wenn wir uns das zu Herzen nehmen und nicht in einem engen Dharmaverständnis bleiben. Das Schöne, was dann passieren wird, ist, daß wir überall ein bißchen Dharma entdecken, das Leben wird dann selbst anfangen, zu uns zu sprechen. Wir werden hier und da ein Gedicht oder eine Zeile entdecken – es gibt überall Dharmaunterweisungen. Das wird unsere Praxis sehr stärken, wir werden überall Nahrung für unsere Praxis finden.

(gekürzt aus: Lama Lhündrup, Erklärungen zum Lodjong-Kommentar von Jamgön Kongtrul Lodrö Thaye »Der Hauptweg zur Erleuchtung«, Einführung zu den Sieben Punkten des Mahayana-Geistestrainings, Freiburg, 26. Dezember 2005 bis 1. Januar 2006)

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