4. »Lasse auch das Heilmittel sich natürlich befreien«

Die Nicht-Existenz der Leerheit (oder die Leerheit der Leerheit)
Lama Lhündrup kommentiert: Die Instruktionen, die wir erhalten, sind Heilmittel. Der erste Merkspruch über die traumgleiche Natur der Erscheinungen ist ein Heilmittel gegen unser Haften an Erscheinungen. Der zweite Spruch ist ein Heilmittel gegen unser Haften an diesem Gewahrsein als ein Ich oder Selbst.
Jetzt kann es aber sein, dass wir zu dem Schluss kommen, weder ich selbst noch die Erscheinungen existieren wirklich, alles ist illusorisch, leer. Wir machen aus der illusorischen Natur und der Leerheit etwas wirklich Existierendes.
Das wird dazu führen, daß wir die vermeintliche Erkenntnis verfestigen, die wir gemacht haben, wir »bestehen« auf der Leerheit der Phänomene, und entziehen uns der Verantwortung gegenüber unseren Handlungen.
Der Sinn der Untersuchung ist aber: Wenn wir an dem Punkt ankommen, daß wir einen Geschmack davon haben, was die illusorische Natur der Erscheinungen und des Geistes ist, dann lassen wir selbst diese Fixierung auf die Ergebnisse der Analyse los und verweilen im natürlichen Gewahrsein, um natürlicher und entspannter zu werden.
Es geht um eine ausgewogene Darstellung der Wirklichkeit. Wir können nicht nur die letztendliche Ebene darstellen und meinen, das wäre alles. Denn der Geist ist aktiv, wir leben in einer relativen Welt, wo Ursache und Wirkung tatsächlich die entscheidende Rolle spielen.
Der Spruch »Betrachte alle Erscheinungen als Traum« (2. Merksatz) über die traumgleiche Natur der Phänomene führt zu einem Nachlassen unseres Wirklichkeitsglaubens, unseres Glaubens an die Wirklichkeit der Dinge in eine Erfahrung von Leerheit hinein.
Der nächste Spruch »Untersuche die Natur des ungeborenen Gewahrseins« (3.) hilft uns, diese Erfahrung zu analysieren, und es entsteht ein Verständnis, das auch diese Erfahrung und das Subjekt der Erfahrung, wir selbst, dieselbe Natur der Leerheit haben.
Der Merkspruch »Lasse auch das Heilmittel sich natürlich befreien« (4.) nun hilft uns zu bemerken, daß auch dieses Verständnis nichts Greifbares ist.

(gekürzt aus: Lama Lhündrup, Erklärungen zum Lodjong-Kommentar von Jamgön Kongtrul Lodrö Thaye »Der Hauptweg zur Erleuchtung«, Einführung zu den Sieben Punkten des Mahayana-Geistestrainings, Freiburg, 26. Dezember 2005 bis 1. Januar 2006, S. 30ff)

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